Wenn Kinder abends unruhig werden - kennst du das?
Das Schlafengehen zieht sich mal wieder. Gestern dauerte es vielleicht 2 Stunden und heute kannst du wohl wieder dasselbe erwarten. Vielleicht ist das sogar euer Alltag? Es sei dir versichert, du bist damit nicht alleine. Es ist anstrengend, mehrere Stunden für das Zubettbringen aufzubringen und es trägt auch ein gewisses Konfliktpotential in sich.
Falls du dich trotz Übermüdung noch ein paar Minuten wach halten kannst, gibt dir unsere dänische Expertin in Ergotherapie und Sensomotorik, Ann Helene Kristensen, hier fünf Vorschläge für körperliche Spiele, die deinem Kind helfen, Ruhe im Körper zu finden. Indem die propriozeptive Wahrnehmung (auch: Tiefensensibilität) angeregt wird, verringert sich nämlich die motorische Unruhe, die es deinem Kind so schwer machen kann, einzuschlafen.
Wer ist Ann Helene Kristensen?
Ann Helene Kristensen ist der neueste Zugang des Expertenrates der ToyAcademy und wir schätzen uns glücklich, sie mit an Bord zu haben.
“Ich bin Ergotherapeutin und habe mich auf Kinder spezialisiert, die sich im “normalen” Bereich befinden. Ich arbeite täglich mit Kindern, Eltern und Bezugspersonen, um einen bestmöglichen Alltag für diese Menschen zu schaffen. Mit Hinblick auf die sensomotorische Entwicklung habe ich daher das Unternehmen Babysteps in Kopenhagen gegründet. Hier helfe ich Familien, die Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung der Kinder zu schaffen.”
Foto: Ann Helene Kristensen, baby-steps.dk
Was versteht man unter motorischer Unruhe?
Motorische Unruhe ist ein ganz natürlicher Teil der kindlichen (und generellen) Entwicklung - das trifft auch auf die Zeit vor dem Schlafengehen zu.
Der Körper bearbeitet abends die letzten Eindrücke des Tages, bevor die Reise ins Träumeland beginnen kann. Wenn auch du den Eindruck hast, dass dein Kind besonders unruhig ist, bevor es ins Bett soll, dann möchte ich dir hier meine besten Ratschläge für eine entspannte Schlafenszeit geben.
Zuerst werde ich erklären, was motorische Unruhe eigentlich ist und danach gebe ich dir ein paar konkrete Vorschläge für effektive motorische Spiele, die deinem Kind helfen können, körperlich Ruhe zu finden.
Motorische Unruhe ist völlig normal. Mit anderen Worten ist es sogar etwas Positives, wenn unser Körper ausdrückt, dass er gerne verwendet werden möchte. Unsere Sinne verlangen dann regelrecht nach Eindrücken.
Durch unseren Körper und unsere Sinne erleben und leben wir. Wenn unser Gehirn ein sensorisches Signal wahrnimmt, wird es sozusagen gefüttert. Motorische Unruhe ist also nicht etwas, das wir uns wegwünschen sollten. Nur die Unruhe, die das Wohlergehen eines Kindes und dessen Teilnahme am täglichen Leben beinträchtigt, sollten wir versuchen, positiv zu beeinflussen.
Wie fühlt sich motorische Unruhe an?
Unruhe hat viele Gesichter: Ein kleines Baby schlägt seinen Fuß immer wieder in den Boden. Ein großes Kind läuft im Zimmer herum und klettert auf sämtliche Möbel.
Beide Verhaltensweisen haben denselben Ursprung, nämlich die kindliche und universelle Lust, die eigenen Sinne durch Bewegung anzuregen, auch Sensomotorik genannt.
Motorische Unruhe ist demnach ein Bedürfnis unseres Gehirns, den Körper zu nutzen und die Welt durch Körper und Sinne wahrzunehmen. Man spürt vielleicht ein regelrechtes Kribbeln im Körper.
Wenn wir unseren Kindern ermöglichen, dass sie ihren Körper entsprechend einsetzen, kann dieser Bedarf gedeckt werden. Wir alle kennen die Erfahrung, richtig gut zu schlafen, wenn wir davor körperlich aktiv waren. Vielleicht sind wir eine Runde mit dem Hund gegangen oder haben Fußball gespielt. Wir können dann spüren, wie sich unsere Beine und der Rest des Körpers entspannen.
Warum ist motorische Unruhe am Abend oft ausgeprägter?
Empfindest du es auch so, dass die motorische Unruhe deines Kindes abends oft am ausgeprägtesten ist? Gerade zu dem Zeitpunkt, an dem es ins Bett gehen sollte? Es ist typisch, dass wir die Unruhe unserer Kinder abends als intensiver wahrnehmen. Das kenne ich von vielen der Familien, die Rat bei Babysteps.dk suchen.
Oft geht es jedoch eigentlich um unsere eigene Erwartung oder die Überzeugung, dass unser Kind abends ruhig werden sollte. Das Kind ist also nicht unbedingt unruhiger, jedoch ist es nicht so ruhig und entspannt, wie wir es uns erwarten.
Wir bei Babysteps sagen lieber: “Es ist Zeit, ins Bett zu gehen”, als “Es ist Zeit, zu schlafen”. Denn das ist nicht dasselbe. In dem Zeitraum, in dem wir zu Bett gehen, verwenden wir alle uns verfügbaren Mittel, um dem Körper zu helfen, zur Ruhe zu kommen. Richte deine Aufmerksamkeit auf die Zeit zwischen Abendessen und Zubettgehen bei euch zuhause.
Manchmal beginnen wir bereits im Badezimmer damit, das Tempo herunterzufahren. Wir verwenden warmes Wasser und den Druck des Wassers, um Entspannung zu verbreiten. In der Wanne sind Spiele mit Badespielzeug wirklich gut geeignet, um sich zu entspannen und die Konzentration nur auf das vertiefende Spiel zu richten.
Wenn wir uns darüber bewusst werden, dass wir die Unruhe oft nur aufgrund unserer eigenen Vorstellungen und Erwartungen so intensiv erleben, wird es leichter, mit dem motorischen Gezappel umzugehen. Das Bewusstwerden, dass unsere eigenen Erwartungen das Erleben einer Situation beeinflussen, ist der Schlüssel dazu, mit einem Erlebnis konstruktiver umgehen zu können.
Routinen und Piktogramme können bei motorischer Unruhe helfen
Das Gehirn ist ein Gewohnheitstier. Wenn es Routine erlebt, kann es sich entspannen. Speziell, wenn der Tag zu Ende geht und wir alle müde sind, macht eine feste Routine Sinn. Wenn wir nichts Neues erleben, muss das Gehirn nicht im Problemlösemodus und in Alarmbereitschaft sein. So rückt die Möglichkeit von abendlicher Ruhe im Körper deutlich näher.
Piktogramme sind ein fantastisches Werkzeug, das man für das Etablieren von Routinen verwenden kann - auch für Erwachsene. Piktogramme schaffen einen Überblick über die täglichen Aktivitäten und machen es voraussehbar, was noch passieren wird. Wie oft schaust du selbst in deinen Kalender im Laufe eines Tages, um dir Überblick und Vorausschaubarkeit zu verschaffen?
So kannst du deinem Kind bei motorischer Unruhe helfen
Dominiert die Unruhe deines Kindes eure Abende? Vielleicht kannst du dir hier ein bisschen Inspiration zur Abhilfe holen.
Motorische Unruhe ist nicht etwas, das behandelt werden muss. Die Sinne deines Kindes sind nicht falsch eingestellt und motorische Unruhe ist keine Krankheit. Aber natürlich kann es schwer sein, mit ihr umzugehen, da sie nicht unbedingt mit den Plänen und Vorstellungen von uns Erwachsenen einhergeht. Wenn das Kind bei einsetzender Unruhe die Möglichkeit hätte, einfach ins Freie zu sausen, in Bäumen zu klettern oder bäuchlings von einem Hügel herunterzurutschen, wäre das alles gar kein Problem. Aber so leben die wenigsten von uns.
Wir können unseren Kindern helfen, die Signale ihres Körpers lesen zu lernen. Unruhe ist ein Ausdruck dafür, dass das Gehirn und unsere Sinne sich nach Unterhaltung, Stimuli, Herausforderung oder Arbeit sehnen. Genauso, wie Hunger ein Zeichen dafür ist, dass wir ein Bedürfnis nach Nahrung haben, ist die Unruhe ein Zeichen dafür, dass unser Gehirn ein Bedürfnis nach Eindrücken hat.
Die Spiele und Aktivitäten, die ich im Anschluss vorschlage, sind keine schnellen Lösungen, welche Unruhe in 5 Sekunden verschwinden lassen. Das ist auch nicht das, was wir uns wünschen. Doch können die Spiele deinem Kind und euren abendlichen Routinen eine gute Hilfe sein.
5 Vorschläge für Entspannungsspiele, die motorische Unruhe dämpfen können
Das Wesentliche an diesen Spielen ist, dass sie dem Körper und Gehirn deines Kindes genau die Impulse geben, die benötigt werden. Es ist nämlich nicht egal, wie ihr dem Bedürfnis nach Eindrücken begegnet. Ein rasantes Fussballmatch mit wechselnder Taktik und scharfen Angriffen oder eine eiskalte Dusche sind keine guten Pläne - im Gegensatz zu den 5 Spielen, die ich hier vorstelle.
Nützliche Tipps:
- Vermeide abends so weit wie möglich Aktivitäten, die ein hohes Tempo oder viele Wechsel haben.
- Setze den Fokus auf Spiele, bei denen dein Kind seine Muskeln verwenden muss, um zu schubsen, ziehen, zerren, drücken oder Widerstand auszuüben. Widerstand regt nämlich die Tiefensensibilität an. Die Tiefensensibilität, bzw. die propriozeptive Wahrnehmung, ist der Sinn, der für einen großen Anteil der motorischen Unruhe zuständig ist.
- Mehr über die propriozeptive Wahrnehmung kannst du in unserem Spieleratgeber für Sensomotorik lesen. Und in diesem Blogeintrag kannst du über kindliche motorische Unruhe tagsüber lesen.
Spiel Nr. 1: Schnapp dir den Goldklumpen
Foto: Ann Helene Kristensen, baby-steps.dk
Ich bin ziemlich begeistert von Spielen mit großen Gymnastikbällen oder Bällen in Rollenform, an die sich dein Kind mit aller Kraft klammern soll, während du den Ball wegzuziehen versuchst. Der große Ball kann als wertvoller Goldklumpen fungieren, den der freche Räuber zu stehlen versucht.
Spiel Nr. 2: Schieben & Ziehen
Obwohl wir das Aktivitätsniveau herunterfahren, muss es nicht ganz still sein. Ein Spiel, bei dem man seine Kräfte verwendet, indem man schubst, zieht, drückt und körperlich Widerstand ausübt, wirkt auf den Körper stimulierend und beruhigend gleichzeitig. Ein gutes Spiel in dieser Kategorie wäre ein Kampf um einen Gymnastikball, wobei man den Ball mit allen Kräften zurückzudrängen versucht.
Spiel Nr. 3: Eine feste Druckmassage
Foto: Ann Helene Kristensen, baby-steps.dk
Für manche Kinder sind ruhiger, fester Druck und gedämpfte Musik eine gute Möglichkeit, um körperlich Ruhe zu finden. Der Druck deiner Hände hilft den Sinnen deines Kindes, die eigene körperliche Begrenzung wahrzunehmen. Gerne verwenden wir Massagebälle (auch Igelbälle genannt) für das Massieren, wo die kleinen Noppen Muskeln und Durchblutung stimulieren. Massiere nicht fester, als es für deine eigene Hand angenehm ist und achte darauf, ob dein Kind die Massage als angenehm empfindet.
Spiel Nr. 4: Tätschel den kleinen Hund
Hier spielt ihr, dass dein Kind ein kleiner Hund ist, der es liebt, am ganzen Körper getätschelt zu werden. Es ist nämlich nicht nur die Massage, die einen positiven Effekt auf die Tiefenwahrnehmung hat. Viele Kinder genießen es auch, getätschelt zu werden, als wären sie ein kleiner Labrador. Das punktweise Tätscheln des Körpers stimuliert auf eine andere Weise und manche Kinder mögen dies mehr, als massiert zu werden.
Spiel Nr. 5: Rollmops
Über einen Pilatesball gerollt zu werden, regt die Tiefensensibilität an. Wenn man sich über den Ball legt und sich bewegt oder bewegt wird, spürt der Körper nämlich die runde Unterlage und passt sich an, um nicht zu fallen. Man kann auch einen Ball mit Noppen verwenden, welcher die Wahrnehmung noch mehr anregt und somit das kindliche Nervensystem noch mehr stimuliert.
Foto: Ann Helene Kristensen, baby-steps.dk
Hier ist ein Video mit den Spielen, die motorische Ruhe vor dem Schlafengehen reduzieren können. Das Video kommt mit dänischen Untertiteln, was aber nicht weiter von Bedeutung ist, da es vor allem zeigt, wie sich die beschriebenen Spiele praktisch umsetzen lassen.
Wir wünschen viel Vergnügen und hoffen, dass die unruhigen Körper ein wenig Ruhe finden und herrlich tief schlafen!
Liebe Grüße, Ann Helene Kristensen und die ToyAcademy.
