Können Gewichtsdecken und Gewichtswesten unruhigen Kindern helfen?

Können Gewichtsdecken und Gewichtswesten unruhigen Kindern helfen?
1. März 2022

Empfiehlt man dir eine Gewichtsweste, Gewichtsdecke oder andere Gewichtsprodukte für dein Kind?

Wir in der ToyAcademy haben seit jeher Fokus auf die kindliche Entwicklung. Eine Herausforderung, die viele unserer Kunden kennen, ist die Unruhe, mit denen manche Kinder zu kämpfen haben.

Wir erhalten immer wieder Anfragen von Kunden, deren Kinder nicht stillsitzen oder einschlafen können oder die sich schwer tun, den Anforderungen an ihre Konzentrationsfähigkeit in pädagogischen Einrichtungen oder Schulen zu entsprechen.

Viele Eltern von unruhigen Kindern bekommen den Rat, sich eine Gewichtsweste, Gewichtsdecke oder andere mit Gewicht beschwerte Produkte anzuschaffen, um dem Kind zu mehr Ruhe zu verhelfen.

Wir haben eine vielfältige Auswahl an Produkten dieser Art in unserem Webshop und wir verkaufen sie gut. Daher fühlen wir uns auch verantwortlich, unseren Kunden eine sachliche und ordnungsgemäße Information über die Unterstützung von unruhigen Kindern und möglichen Vorteilen von Gewichtsprodukten wie Gewichtsdecken oder -westen zu geben.

Inwieweit ist es normal, dass mein Kind so viel Energie hat und wann ist der Zeitpunkt, um sich Hilfe zu holen?

Bevor wir ein Gewichtsprodukt für unser Kind erwägen, sollten wir uns fragen: Warum glaube ich, dass mein Kind einen Bedarf dafür hat?

Wir müssen auf jeden Fall aufmerksam sein, dass wir nicht nur Symptome behandeln und dabei die Frage nach der Ursache für das in unseren Augen veränderungswürdige Verhalten des Kindes übersehen. Vielleicht ist das Verhalten des Kindes im normalen Bereich? Wenn du dir unsicher bist, ist mit Sicherheit eine gute Idee, professionelle Unterstützung für die Beantwortung dieser Frage hinzuzuziehen, um die Herausforderungen deines Kindes angemessen zu beurteilen.

Ab wann kann man von problematischer motorischer Unruhe sprechen - und was ist normal?

In der Regel ist es völlig normal, dass sich ein Kind die ganze Zeit bewegen möchte. Kinderkörper sind dafür geschaffen, neugierig und aktiv zu sein. Kinder lernen und erfahren sehr viel durch Bewegung. Dies gilt vor allem für die ersten 7 Lebensjahre und auch danach braucht es noch viele Bewegungen, die durch unzählige Wiederholungen verfeinert werden.

Alle Kinder haben bis zu einem gewissen Grad eine körperliche Unruhe in sich und diese ist absolut gesund und entwicklungsfördernd. Doch manchmal empfinden wir es als störend, wenn Kinder beim Essen oder in der Schule nicht stillsitzen können oder sie beim Einschlafen unruhig hin und her wälzen.

Einzelne Kinder werden jedoch durch die motorische Unruhe in ihrer Entwicklung empfindlich gestört - vor allem, wenn sie auch in Situationen ein Bewegungsbedürfnis haben, wenn es keinen Zweck erfüllt. Oder wenn ihr Verhalten durch die motorische Unruhe dermaßen negativ beeinflusst wird, dass sie physisch aggressiv, extrem leicht frustriert, traurig oder wütend werden oder sie dadurch massive Einschlafprobleme haben.

junge macht kopfstand im pyjamaWarum ist mein Kind motorisch so unruhig? 

Die Unruhe ist ein Ausdruck dafür, dass Gehirn und Sinne permanent nach Unterhaltung, Stimulierung und Herausforderung verlangen. Das ist insofern also ganz natürlich. In den ersten Lebensjahren kann man nicht von allen Kindern verlangen, dass sie länger als 5 Minuten stillsitzen können.

Kleine Kinder kommunizieren durch ihr Verhalten. Daher sind wir gefordert, ihr Verhalten zu hinterfragen, um zu verstehen, was sich dahinter verbirgt. Das gilt vor allem für Kinder, um deren Gedeihen und Wohlbefinden wir uns Sorgen machen.

  • Vielleicht erzählt uns das Verhalten dieser Kinder, dass sie mehr Reizbeeinflussung benötigen, um sich selbst spüren zu können - sprich, dass die Tiefensensibilität unterstimuliert ist.
  • Vielleicht erzählt uns ihr Verhalten aber auch, dass sie überstimuliert sind und daher schwer Ruhe finden können.
  • Es kann sein, dass es diesen Kindern schwer fällt, ihren Erregungsgrad in der jeweiligen Situation angemessen zu regulieren.

Kinder fühlen sich oft selbst durch ihr motorisch unruhiges Verhalten gestört. Es braucht natürlich ein bisschen Detektivarbeit, um die Ursachen für das Verhalten zu auszumachen.

Schreibe ein Tagebuch mit dem Schwerpunkt Wohlergehen - vielleicht findest du so den Grund
Es ist sinnvoll, über mehrere Wochen hinweg täglich die Aktivitäten und das Ergehen deines Kindes zu notieren. Beschreibe die Situationen, in denen dir das Verhalten deines Kindes Sorgen macht. Auch die Uhrzeit kann eine Rolle spielen. Oft kommt man zu überraschenden Einsichten.

Diese Notizen sind ein guter Ausgangspunkt, um Reaktionsmuster und deren Gründe zu identifizieren. Auch wirst du dir dadurch bewusster, wann dein Kind ein Bedürfnis nach Pause oder Stimulation hat.

traurig-ängstlicher junger auf spielpatz

Wenn die tiefensensible Wahrnehmung über- oder unterstimuliert ist
Die Tiefensensibilität (auch propriozeptive Wahrnehmung genannt) hat eine große Bedeutung für unser Körperbewusstsein. Unsere Bewegungen werden mittels dieses Sinnes geplant und ausgeführt. Dadurch können wir spüren, in welche Richtung wir uns bewegen und wo im Raum wir uns befinden. Falls der propriozeptive Sinn zu viel oder zu wenig angeregt wird, führt das zu Herausforderungen mit Unruhe.

Es ist normal, wenn Kinder frustriert oder wütend werden oder bis zu einem gewissen Grad auch, wenn sie körperliche Formen der Aggression zeigen. Falls diese Reaktionen jedoch extrem scheinen, solltest du darauf aufmerksam sein, dass das mit Über- oder Unterstimulierung (Over oder Under Arousal genannt) zu tun haben könnte.

Für Kinder mit einer umfassenden körperlichen Unruhe kann eine Kombination von passiven und aktiven Stimuli am meisten Sinn machen. Die Stimulation der tiefensensiblen Wahrnehmung kann dem Nervensystem zu einer besseren Balance helfen, weil es ein Gefühl der körperlicher Begrenzung gibt, der Puls gesenkt wird, man ruhiger atmet und vermehrt das beruhigende Hormon Oxytocin ausschüttet.

Gewichtsprodukte und -decken sind eine gute Möglichkeit, den propriozeptiven Sinn anzuregen. Diese dürfen jedoch nicht alleine stehen. Es ist wichtig, auf verschiedenen Ebenen anzuregen.

 

Regulationsprobleme bei zu hohem oder zu niedrigem Arousal
Menschen können ihren Erregungsgrad, ihr Arousal, normalerweise instinktiv regulieren, um angemessen auf Situation zu reagieren. Doch das funktioniert nicht bei allen optimal. Wenn wir hier von Arousal - einem Begriff aus der Psychologie - sprechen, meinen wir den Grad der Aktivierung des zentralen Nervensystems. Eine zu niedrige Erregung könnte bedeuten, zu schlafen oder kurz davor zu sein. Eine hohe Erregung fühlt sich für manche ähnlich an wie eine wilde Kissenschlacht.

Irgendwo dazwischen liegt der Erregungsgrad, an dem wir uns am besten konzentrieren können. Hier sind wir weder in Alarmbereitschaft noch inaktiv.

Der Grad der Erregungsbereitschaft, auch Aktivierung genannt, sollte zur Situation passen. Falls man von einem Bären gejagt wird, ist es angemessen, einen sehr hohen Erregungsgrad zu haben. Wenn der Lehrer in der Geschichtsstunde etwas erzählt, sollte man aufnahmebereit und wach genug sein, um sich zu konzentrieren. Man sollte jedoch nicht in Alarmbereitschaft sein,, sodass man kaum still sitzen kann.

Manchen Kindern fehlt diese Fähigkeit zur inneren Regulierung. Sie erleben beispielsweise ständig einen hohen Erregungsgrad - als wären sie mitten in einer Flucht vor einem Bären - und das, wenn sie eigentlich gerade im Unterricht sitzen.

 

Welche Aktivitäten helfen bei motorischer Unruhe?

Du als Erwachsener kannst Kindern helfen, die sehr leicht zur Frustration neigen oder es schwierig finden, Ruhe zu finden. Wir haben ein paar Vorschläge für dich gesammelt:

  • Kindern, die ihren Erregungsgrad schwer regulieren können, tun aktive Pausen oft sehr gut. Diese sollten gerne jede zweite Stunde in der wachen Tageszeit durchgeführt werden - oder sobald du am Verhalten ablesen kannst, dass es dafür Zeit ist. Auch können Aktivitäten, die den Einsatz von Muskeln verlangen, als aktive Pause funktionieren. Die Spiele dürfen gerne angenehm und hart sein - jedoch nicht wild und albern.
  • Sei dir deiner Tonlage und Körpersprache bewusst, wenn du mit deinem Kind zusammen bist. Diese können auf dein Kind abfärben.
  • Du kannst versuchen, die Aktivierung deines Kindes zu beeinflussen, indem du Änderungen in eurer Umgebungen und in eurem Alltag vornimmst. Die Einrichtung mit ihren Farben, Formen und Geräuschen kann durchaus einen Unterschied machen. Kopfhörer - mit oder ohne Noise Cancelling - können Abhilfe schaffen.
  • Das Tagestempo kann natürlich auch eine Rolle spielen. Falls ihr viele Erledigungen und Aktivitäten im Laufe eines Tages habt, versuche diese zu reduzieren oder an andere Zeitpunkte zu verlegen.

 

Spiele bei motorischer Unruhe und für zu niedriges oder zu hohes Arousal

Während des Spielens solltest du für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen. Es sollte gemütlich, aber auch herausfordernd sein - und nicht lustig und wild.

Das Spiel “Dreh den Tintenfisch um”
Ein Kind und ein Erwachsener spielen, dass sie Tintenfische sind. Jeweils einer der beiden legt sich auf den Boden, Arme und Beine weit von sich gestreckt. Man kann sich vorstellen, als wären die “Fangarme” dank der Saugnäpfe regelrecht an den Boden geklebt. Der andere soll nun versuchen, ob er den Tintenfisch umdrehen kann. Kopf oder Bauch dürfen dabei nicht berührt werden.

Das Pizza-Spiel
Das Kind stellt sich vor, Pizzateig zu sein und legt sich bäuchlings auf eine Matratze oder auf den Boden. Zuerst wird der “Teig” ausgerollt (gerne mit ordentlichem Druck), dann wird Tomatensauce verteilt (geschmiert oder punktweise) und dann kommen verschiedene Beläge drauf. Mit jedem Belag, der verteilt wird, wird auf dem Körper angenehm fester Druck ausgeübt.

Die Raupe, die sich in einen Schmetterling verwandelt
Wickle das Kind in eine Bettdecke ein, sodass nur der Kopf noch frei ist. Drücke die Raupe ein paar Mal und halte sie dann um die Hüfte herum fest. Das Kind bzw. die Raupe soll sich jetzt aus seinem Kokon befreien, indem es sich windet und bewegt und seine Kräfte verwendet.

Druckmassage
Übe angenehm festen Druck mit deinen Händen am ganzen Körper des Kindes aus. Die Bauchregion und das Gesicht sind ausgenommen. Zwischen jeder Berührung solltest du 1 bis 2 Sekunden warten. Bestimmt gerne, dass ihr beide dabei tief durch die Nase atmet, ganz hinunter zum Nabel. Überlasse es eventuell deinem Kind, mit der Druckmassage anzufangen, damit es etwas Energie verwenden kann.

Weitere Ideen, um den propriozeptiven Sinn (bzw. die Tiefenwahrnehmung) positiv anzuregen, sind: Schubkarre fahren und im Krabbengang rücklings auf allen vieren zu gehen. Erstaunlicherweise eignet sich auch das Kauen von Kaugummi, Karotten oder Äpfeln, um ruhiger zu werden.

Wozu kann ein Kind eine Gewichtsweste oder Gewichtsdecke verwenden?

Für Kinder mit einer beträchtlichen körperlichen Unruhe kann eine Kombination passiver und aktiver Stimuli das Sinnvollste sein. Extra Gewicht auf dem Körper ist eine passive Anregung der Tiefensensibilität.

Gewichtsprodukte können in einigen Fällen Symptome eines unter- oder überforderten sensomotorischen Systems für eine kurze Zeit dämpfen. Gewichtsprodukte sollten jedoch nicht alleine stehen. Zögere nicht, sie zu verwenden, aber probiere auch andere Maßnahmen aus - wie die erwähnten Aktivitäten und Änderungsmöglichkeiten im Heim oder im Alltag. All diese Maßnahmen können deinem Kind zu mehr motorischer Ruhe und Wohlbefinden verhelfen.

Gewichtsprodukte sind kein “Quick Fix”.

mädchen mit therapie katze

5 Ratschläge für die Verwendung von Gewichtswesten oder -decken

  1. Die Produkte sollten als Ausgangspunkt nicht mehr als 10% des Gewichts ausmachen, wenn keine fachliche Beratung oder Evaluierung der jeweiligen kindlichen Bedürfnisse vorgenommen wurde. Du solltest also erst ein Gewichtskissen von 2 kg anwenden, wenn dein Kind mehr als 20 kg wiegt.
  2. Grundlegend sollten Gewichtsprodukte nie mehr als 20 Minuten verwendet werden. Der Körper gewöhnt sich rasch an das zusätzliche Gewicht und die beruhigende Wirkung lässt dann schlichtweg nach.
  3. Das Kind darf nie gezwungen werden, eine Gewichtsdecke, Gewichtsweste oder andere Gewichtsprodukte zu nehmen. Weiters sollte es imstande sein, frei zu kommen und das Gewichtsprodukt selbst weglegen zu können.
  4. Falls ihr euch dazu entscheidet, nachts eine Gewichtsdecke zu verwenden, wäre es klug, vorher abzuklären, ob die motorische Unruhe eventuell auf etwas im Alltag hindeuten könnte, das nicht optimal funktioniert. Wir sollten nie Symptome behandeln, ohne auch nach der Ursache zu forschen - und das gerne mit professioneller Hilfe.
  5. Achte auf die Signale deines Kindes und sei auf Reaktion und Erleben des zusätzlichen Gewichts aufmerksam. Viele Kinder reagieren auf die Anregung des taktilen Sinnes, die mit einem Gewichtsprodukt einhergeht. Druck und Propriozeption wirken im besten Falle organisierend auf das Gehirn.

mädchen unter gemütlicher gewichtsdecke

Je nach Kind gibt es sicher Präferenzen bezüglich Material und Füllung der Gewichtsdecken. Gerade Kinder mit einem empfindlichen Tastsinn werden leicht taktil überstimuliert.

junge mit gewichtsweste

Wir hoffen, dass du jetzt ein bisschen mehr darüber weißt, wie du deinem Kind bei motorischer Unruhe helfen kannst.