Der magische Atem deines Kindes
Es gibt kaum etwas, das schlimmer wird, wenn du kurz innehältst und ein, zwei oder drei Mal tief durchatmest.
Die meisten Situationen werden sogar deutlich leichter, wenn innerlich etwas durchgelüftet wurde. Mit zusätzlichem Sauerstoff im Körper kannst du besser damit umgehen, wenn du in der Warteschlange übersehen wirst, die erste Tasse Kaffee des Tages auf dem Boden landet oder du in die Hinterlassenschaften eines vierbeinigen Freundes trittst.
Vielleicht hast du das als Erwachsener schon erlebt. Doch aus irgendeinem Grund ist das keine automatische Reaktion, obwohl unser Körper viele andere Reflexe hat, die in bestimmten Situationen klug reagieren.
Gerade das tiefe Atmen, wenn die Welt gegen uns zu sein scheint oder wenn es stressig wird, ist etwas, das du deinem Kind aktiv beibringen musst. Es geschieht nicht von allein.
Oft atmen wir Menschen schneller und flacher, wenn wir die Fassung verlieren, Angst oder Nervosität empfinden. Doch genau dieses Atemmuster verschlimmert die Situation noch zusätzlich.
Kurze, hektische Atemzüge signalisieren dem Körper, dass Gefahr droht und er kämpfen, fliehen oder sich verstecken muss – selbst wenn es nur darum geht, die Plastikfolie der Gurke nicht aufzukriegen, dein Kind Socken mit störenden Nähten trägt oder eine unbekannte Vertretungskraft die Deutschstunde übernimmt.
So steht ihr beide schließlich da, mit zugeschnürter Kehle, obwohl es viel hilfreicher wäre, tief durchzuatmen.
Darum geht es in diesem Artikel, den wir zusammen mit der hauseigenen Expertin der ToyAcademy, Ergotherapeutin und Inhaberin von Sanselab.dk, Ann Helene Kristensen, geschrieben haben.
Willst du wissen, warum bewusstes Atmen so hilfreich ist und wie du deinem Kind spielerisch beibringst, sein Nervensystem zu regulieren? Dann lies weiter!
In diesem Artikel erfährst du:


Atmung als Superkraft zur Regulierung des Nervensystems
Seit Jahrtausenden wissen buddhistische Mönche und Yogis weltweit, dass wir unsere Stimmung beeinflussen können, indem wir unseren Atem bewusst lenken.
Im Jahr 2022 veröffentlichte die Universität Aarhus eine Studie, die zeigt, dass unsere Atmung Hirnwellen beeinflussen und somit unsere Gefühle und Konzentration verändern kann. Die Gehirnaktivität folgt dem Atemrhythmus, ähnlich wie das Leben im Meer den Gezeiten folgt.
Offenbar ist Atmung wirklich magisch, und wir Menschen brauchen immer wieder eine Erinnerung daran – sowohl durch wissenschaftliche Erkenntnisse als auch praktische Übungen.
Wer ist Ann Helene Kristensen?
Ann Helene Kristensen ist das neueste Mitglied im Expertenpanel der ToyAcademy. Wir freuen uns sehr, sie im Team zu haben.
„Ich bin Ergotherapeutin mit Spezialisierung auf Kinder im Normalbereich. Jeden Tag arbeite ich mit Kindern, Eltern und Betreuungspersonen, um ihren Alltag bestmöglich zu gestalten. Mein Schwerpunkt liegt auf der sensomotorischen Entwicklung von Kindern. Ich leite sanselab.dk in Kopenhagen, wo ich euch helfe, eurem Kind die besten Bedingungen für eine gesunde Entwicklung zu bieten.“


Warum solltest du die Atmung deines Kindes beobachten?
Unsere Atmung ist einer der stärksten und natürlichsten Wege, um Ruhe zu schaffen und unseren Fokus wiederzufinden, wenn Gedanken, Gefühle oder Ängste mit uns durchgehen. Gleichzeitig ist sie zwar eine wertvolle Quelle für Ruhe, aber auch ein sicherer Weg, um Chaos in unserem inneren System zu erzeugen. Mit anderen Worten: Die Atmung ist machtvoll.
Deshalb ist es wichtig, bewusster auf unsere Atmung zu achten, sobald wir anfangen, aktiv für mehr Ruhe zu sorgen. Gerade dieses Schaffen von Ruhe ist ein Wunsch vieler Eltern heutzutage, weil zahlreiche Kinder innere Unruhe erleben, die oft zu großen Frustrationen und Überforderungsreaktionen führt.


Übt in ruhigen Momenten
Die Fähigkeit, Gefühle durch Atmung zu regulieren, lernt dein Kind nicht mitten im größten Wutanfall. Wenn die Emotionen einmal hochkochen, ist es schwierig, Neues zu lernen. Wenn ihr aber vorher in ruhigen Momenten geübt habt, kann dein Kind diese Techniken zunehmend anwenden, wenn es stressig wird.
Probiert diese 5 Spiele an einem ruhigen Tag aus und wiederholt sie regelmäßig. So lernt dein Kind, die Techniken einzusetzen, wenn sich das nächste Mal Wut ankündigt.
6 lustige Atemspiele der Ergotherapeutin
Wir nutzen das Pusten für viele verschiedene Spiele. Auch hier ist das Spielen eine tolle Möglichkeit zu lernen. Mit diesen 5 Vorschlägen für Atemspiele könnt ihr eure Atmung bewusst trainieren und gemeinsam viel Spaß haben.
- Seifenblasen pusten:
Beim Seifenblasenpusten verlängern wir unsere Ausatmung und kontrollieren dabei genau, wie viel Luft wir hinausblasen. Schon nach 5 Seifenblasen hat sich unser Nervensystem durch kontrolliertes Atmen besser reguliert und beruhigt.
Seifenblasen findest du hier. - Atemkugel (Atem-Sphäre):
Diese Kugel zeigt wunderbar die Bewegung der Lungen und ist besonders für größere Kinder hilfreich, die gelegentlich eine regulierende Pause im Klassenzimmer brauchen. Wenn viel um uns herum passiert, fällt es schwer, tief durchzuatmen – was Stress und Unruhe verstärkt. Benutzt die Atemkugel, um wieder richtig Luft zu holen.
2 verschiedene Atemkugeln findest du hier. - Pustestifte:
Ein Pustestift ist ein Röhrchen mit Farbfüllung. Wenn dein Kind an einem Ende pustet, sprüht Farbe aus dem anderen Ende heraus. Pusten gegen Widerstand aktiviert den Teil des Nervensystems, der für Entspannung und Ruhe sorgt. So hilft es Kindern und Erwachsenen, ruhiger zu werden und Stress abzubauen. Außerdem trainiert das kräftige Pusten Muskeln und Koordination im Mund, die wichtig fürs Sprechen und Essen sind, sowie die tiefe Kernmuskulatur in Bauch und Rücken.
Pustestifte in vielen Varianten findest du hier. - Pustelokomotive:
Dieses Spiel macht großen Spaß. Ziel ist es, einen Ball über der Lokomotive schwebend zu halten. Das kann anfangs eine Herausforderung sein. Hier wird besonders trainiert, die Lippen gut zu schließen. Es stärkt die Mundmuskulatur und ermöglicht deinem Kind mit etwas Übung eine lange, gleichmäßige und kontrollierte Ausatmung.
Die Pustelokomotive findest du hier. - Pustedart oder Blasrohre mit Pfeilen:
Ein absoluter Favorit! Was macht mehr Spaß, als Monsterjagd zu spielen, bewaffnet mit Atemkraft und Dartpfeilen? Um die Pfeile abzufeuern, braucht dein Kind einen starken und gezielten Atemstoß. Der Wechsel zwischen ruhigem und langem sowie kurzem und schnellem Ausatmen stärkt die Atemregulation.
Pustedart findest du hier.








Verlängertes Ausatmen – warum das denn?
Viele Kinder erleben einen Alltag, der viel zu vollgepackt und überladen mit Reizen ist. Dadurch wird Dopamin in ihrem limbischen System ausgeschüttet, und das erleben sie als eine Atmung im Alarmzustand – schnell und oberflächlich. Diese Art der Atmung erhöht den Stress und erzeugt einen Teufelskreis, der dein Kind immer mehr belastet.
Dieser Kreis muss durchbrochen werden – und zwar mithilfe der Atmung. Das gilt übrigens genauso für dich, wenn du rote Wangen bekommst, während du in der langen Schlange im Supermarkt stehst und die Person vor dir lieber am Handy redet, statt endlich zu bezahlen und Platz für alle anderen zu machen, die eigentlich nur schnell zu ihren Kindern nach Hause wollen.
Sowohl dein Kind als auch du selbst könnt lernen, euch dabei zu ertappen, wenn ihr falsch atmet, und bewusst auf eine tiefere Atmung zu achten.
Es beginnt mit einem tiefen Ausatmen. Nicht mit dem Einatmen, sondern mit dem Ausatmen.
Denn die Lungen funktionieren wie ein Blasebalg: Du musst Kraft aufwenden, um auszuatmen – genau wie der Blasebalg zusammengedrückt werden muss, um die Luft rauszubekommen. Deine Muskeln drücken die Lungen zusammen, sodass die Luft hinausgepresst wird.
Danach musst du eigentlich nur noch deine Muskeln entspannen, denn dann ziehen deine schlauen Lungen automatisch wieder Luft ein. Sobald die Lungen leer sind, entsteht darin ein Unterdruck, und genau wie beim Blasebalg strömt dann ganz von selbst wieder Luft hinein, wenn du die Muskeln um deinen Brustkorb einfach locker lässt.
Wenn du also heiße Wangen bekommst und merkst, dass du nur noch in den oberen Teil deiner Lungen atmest: Atme aus. Langsam. Und lass dann einfach los.


Spatial Awareness in Kombination mit der Atmung
Die sensomotorische Entwicklung und Selbstregulation finden oft übergreifend zwischen verschiedenen Fähigkeiten statt. Ich erlebe häufig, dass Kinder besonders gerne beim Aufbau selbst mitmachen. Eine tolle Möglichkeit, dein Kind spielerisch in die Aktivität einzubeziehen, ist das Bauen einer Bahn!
Alles, was du dafür brauchst, sind Magnatiles/Connetix (oder eine alte CD-Sammlung) und Tischtennisbälle. Und dann heißt es: Ab zum Tischtennis-Rennen! Wer schafft es als Erstes, seinen Tischtennisball durch die zwei identischen Bahnen zu pusten?
Während ihr die Bahnen aufbaut, wird bei deinem Kind gleichzeitig auch das räumliche Verständnis und die Orientierung gefördert. Vielleicht darf dein Kind selbst kreativ werden, oder es soll die von dir gebaute Bahn spiegeln und dabei Formen und Richtungen entschlüsseln.


Der Atem ist die eigene Sprache des Körpers.
Wir können den Körper nicht durch bloße Gedanken davon überzeugen, dass er sicher ist. Er muss es fühlen. Wenn der Körper Signale aus unserer Umgebung oder von sich selbst wahrnimmt, dass etwas nicht in Ordnung ist, können wir ihn nicht allein durch Gedanken davon überzeugen, dass alles okay ist.
Nutzen wir aber die eigene Sprache des Körpers – den Atem – und die beruhigenden Hormone, die unser Nervensystem bei einer ruhigen Atmung ausschüttet, gelingt es uns, den chaotischen Zustand im Körper zu regulieren und zu verändern.
Genau deshalb ist der Atem magisch.